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Mittwoch:
Jesaja 63,15-64,3
„Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.“ Das ist die Kernaussage
aller wahren Gottesklage. Der wesentliche Unterschied zwischen der wahren und der falschen
Klage liegt im Gottesbild. Sich über das Handeln eines unpersönlichen Gottes zu beklagen
hat dieselbe Qualität wie zum Beispiel die Klage über das Wetter. Sie ist unsinnig. Es
ist, wie es ist, und die Klage darüber bringt nicht mehr, als dass sie die eigene
Missstimmung vergrößert. Man stellt verrückte Ansprüche an das Leben, als dürfe
einem selbst nicht widerfahren, was aller Welt widerfährt und tatsächlich jeden
treffen kann. Man sucht einen magischen Schutzschild gegen das Unglück, der
keineswegs davor bewahrt, dafür aber Angst und Zwang erzeugt.
Ganz anders ist die Klage dieses Textes. Sie ist Ausdruck der persönlichen Kränkung
durch den persönlichen Gott. Sie ist Reaktion auf eine Erfahrung, die nicht sein
darf, weil sie dem Wesen Gottes widerspricht. Das ist die Hiobsklage. Es ist die
Klage, die aus der unzerstörbaren Überzeugung entsteht, dass Gottes Wesen
Barmherzigkeit ist. Sie wendet sich gegen die sehr deutliche und anhaltende
Erfahrung, dass der persönlich zugewandte, barmherzige Gott sich unpersönlich
abweisend hart gegen uns verhält.
Diesem Klagenden verliert demgegenüber die religiöse Tradition, aus der er stammt,
alle Bedeutung. Was hilft es mir, dass ich Christ heiße, wenn ich den Christus nicht
spürbar und sehr, sehr tröstlich erfahre, sondern sogar das genaue Gegenteil davon?
Und doch kommt von dorther, aus der Überlieferung, eben jene Überzeugung. Sie ist
die Flamme der Gottesliebe, das Feuer des Glaubens, das nur noch schmerzt, wenn
sich in seinem Licht nicht der Glanz des freundlichen Wesens Gottes spiegelt.
Dieser Klagende weiß ganz genau: Gott kann. Es ist ihm das Allerleichteste,
jederzeit einzugreifen und wunderbar zu helfen. Die wahre Gottesklage entzieht
sich mit diesem Glauben nicht der Verantwortung. Sie richtet sich nur auf das,
was sie selbst nicht beeinflussen kann. Sie weiß aber auch, dass aller
Handlungsspielraum in der Eigenverantwortung außerordentlich zerbrechlich
und gefährdet ist. Nicht nur gegen äußere Übermacht können wir nichts ausrichten,
sondern wir können uns auch nicht davor bewahren, schuldig zu werden. Trotz
aller Sorgfalt und Ehrlichkeit des Lebenswandels misslingt uns manches,
Fehltritte passieren, wir meinen es gut und gehen doch in die Irre,
richten Schaden an bei andern und uns selbst. Auch das ist diesem Beter
schwerster Grund zur Klage: dass nämlich Gott, dem es ein Leichtes wäre,
ihn auch vor der schrecklichen Demütigung und Schande mitsamt den
leidvollen Folgen schlimmer Fehltritte nicht bewahrt. Der falsche Kläger
schert sich nicht um seine Schuld, reiht dreist einen Fehltritt an den
andern und beschwert sich dann, wenn ihm die Folgen Mühe machen. Wahre
Klage kommt aus der furchtbaren Betroffenheit, dass gerade mir
widerfahren musste, was ich mit größtem Ernst und größter Sorgfalt
zu vermeiden suchte.
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