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Estomihi
Leitmotiv: Der Weg zum Kreuz
Wochenspruch: „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem,
und es wird alles vollendet werden,
was geschrieben ist durch die Propheten
von dem Menschensohn.“ Lukas 18,31 |
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Samstag: Wochenspruch
„Seht!“ Das ist auf diesem Weg das Entscheidende. Dieses Sehen ist achtsames Wahrnehmen, um
teilzuhaben am Werk der Liebe, das so völlig anders aussehen kann als wir es uns vorstellen.
Wer hätte gedacht, dass die Vollendung des Weges Jesu auf diese Weise geschehen würde? Die
Reaktion des Petrus auf den konkreten Hinweis Jesu ist mehr als verständlich: Dieser Weg
darf ja schwierig sein, aber nicht so: nicht zum Kreuz. Das ist ganz einfach unvorstellbar.
Es geht nicht, darf nicht sein, denn es kann nicht sein.
Dass Gott, damit die Liebe zum Ziel kommt, geschehen lässt, was nicht sein kann und
nicht sein darf, darin liegt das eigentlich Anstößige des Kreuzwegs. Dass er nicht
irgendwann eingreift, sondern den Leidenskelch bis zum letzten Tropfen austrinken
lässt. Die Liebe Gottes erweist sich darin, dass er seinen einen wahren Menschensohn,
den einen wahren Menschen, gnadenlos der Unmenschlichkeit preisgibt, bis zum unsagbar
grausamen Foltertod am Kreuz. Sie erweist sich darin, dass er sich damit als das
genaue Gegenteil des liebenden, barmherzigen und gerechten Vaters erweist, überaus
eindeutig und vor aller Welt. Gott beweist seine Liebe darin, dass er seine
Lieblosigkeit beweist. Das ist es, wogegen Petrus rebelliert, weil er dagegen
rebellieren muss: Das kann nicht sein. Und genau darin wird er Jesus zum
„Satan“, zum Versucher, denn das ist der Kernpunkt der Versuchung Jesu,
den Glaubensgehorsam nicht zu vollenden.
Darum: „Seht!“ Die Achtsamkeit des Sehens ist kein Interpretieren. Auf dem Kreuzweg
ereignet sie sich in reiner Hilflosigkeit. Zu erklären gibt es nichts. Es mag
erfüllt werden, was in den alten Schriften steht, und es mag helfen, den
dogmatischen Sinn dieses Weges zu erfassen, wenn wir uns bewusst machen,
was da steht. Aber das Wissen, wie sich Bibelstellen zusammenfügen, ist
dieses Sehen nicht. Das Bibelwissen ist sogar blind ohne dieses Sehen.
Das Sehen ist nichs als ein Ergriffenwerden und Mitgenommenwerden. Ich
sehe, wenn ich den Weg nach Jerusalem mit hinauftaumle, voller verrückter
Fantasien, was Gott jetzt endlich tun wird und wie ich mich meine
Heldenhaftigkeit beweisen werde, ich sehe, wenn ich mich in panischer
Angst und Verzweiflung verstecke, als es ernst wird, ich sehe, wenn
ich dann doch noch, weil ich nicht anders kann, meinen Platz unter
dem Kreuz finde, händeringend, aufgelöst in Tränen. Ich sehe, wenn
sich jeder kühle Abstand des Theologisierens darin auflöst. Ich sehe
nur, wenn ich zum Betroffenen werde, den der Kreuzweg angeht, weil
er sein eigener wird.
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