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1. Sonntag nach Trinitatis
Leitmotiv: Das Fundament des Glaubens
Wochenspruch: „Wer euch hört, der hört mich;
und wer euch verachtet, der verachtet mich.“ Lukas 10,16 |
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Inhaltliche Zusammenfassung
Wenn Jesus sagt: „Wer euch hört, der hört mich“ (Wochenspruch Lk 10,16), dann spricht
daraus unglaublich großes Vertrauen in seine Jünger. „Die Liebe glaubt alles“, steht
im Hohenlied der Liebe. Das heißt: Sie vertraut ganz. Nachfolge besteht einzig und
allein im Bemühen, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen. Die unabdingbare
Voraussetzung dafür ist „das eine, das not tut“: So gut wie nur möglich zu
verstehen, wer Jesus ist, wie Jesus denkt, was Jesus will, damit das, was wir
sagen, seinem eigenen Reden ähnlich wird. Das allein ist Vollmacht: Apostolizität
und prophetisches Wort.
Die Grundwerte und Grundworte, die uns von den Propheten und Aposteln vermittelt
werden, sind klar, deutlich und nachvollziehbar. Das Fundament ist gelegt. Micha
hat es auf den Punkt gebracht: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist...“ Wer
meint, darüber hinaus noch besondere spirituelle Erfahrungen nötig zu haben,
um wirklich überzeugt zu werden, betrügt sich selbst und entzieht sich der
Verantwortung. Gott will, dass geliebt wird, konkret und immer heute.
Davon reden die Propheten. Das verkünden die Apostel. Das predigt Jesus
(Lukas 16,19-31).
Im Gegensatz zu einer starken und dominierenden Auslegungstradition definiert
Johannes nicht die Liebe von einem vorher gegebenen Gottesbild her. Ein solches
Gottesbild, aus dem das Modell wahrer Liebe erst abgeleitet werden müsste,
kann nur ein dogmatisch starres Gebilde sein: „Sage mir erst, wer Gott ist,
und dann will ich mir überlegen, was Liebe ist.“ Alle autoritäre,
menschenverachtende Religion entsteht aus dieser Zuordnung.
Johannes hingegen definiert das Gottesbild von der Liebe her.
Darum lehnt er die Behauptung ab, man könne den unsichtbaren
Gott lieben und zugleich den sichtbaren Nächsten hassen. Für
ihn ist die sichtbare Liebe, also (ganz bescheiden) die empirische
Mitmenschlichkeit, das einzige Echtheitskriterium der Liebe zu Gott.
Das heißt: Wenn wir nicht wissen, was Liebe ist, dann wissen wir
auch nicht, wer Gott ist. Wiederum gilt: Alles andere ist Verantwortungsentzug.
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert!“
(1Joh 6,16b-21).
Die Gründung auf das Fundament der Apostel und Propheten unterscheidet
sich wesentlich von jedem Fundamentalismus. Die Festigkeit der Fundamentalismen
gleicht dem gegossenen Beton. Es ist die starre, grausam harte Festigkeit der
Rechthaberei. Jede Religion und Ideologie dieser Art hat kein Interesse an
Liebe und Menschlichkeit, sondern ausschließlich an ihrem eigenen, zur
absoluten Wahrheit erklärten Dogma. Ihre Verfechter scheuen sich nicht,
allen andern, die sich dem Diktat dieses Dogmas nicht beugen, die Ehre
abzusprechen, abzuschneiden und zu rauben. Jesus stellt sich in entschiedenen
Widerspruch dazu (Joh 5,39-47).
In entschiedenem Widerspruch dazu stehen auch die alttestamentlichen Propheten,
wie zum Beispiel Jeremia. Falsche Propheten bestärken menschenfeindliche
Fundamentalismen. Sie suchen und finden immer irgendwelche „Beweise“ dafür.
Ihr Ziel ist die vollkommene Lückenlosigkeit und Unanfechtbarkeit des
dogmatischen Systems. Sie sind Meister des Zurechtbiegens von Unstimmigkeiten,
weil es das ihrer Ansicht nach nicht geben darf. Ein Prophet wie Jeremia
hingegen bringt die Unstimmigkeiten zur Sprache und klagt wie Hiob. Er
gibt sich nicht zufrieden mit dem Missverhältnis zwischen gepredigter
Religion und realem Leben (Jer 23,16-29).
Das Gebäude auf dem Fundament der Apostel und Propheten, die Kirche, ist der
pastorale Dienst, zu dem Jesus auch „Arbeit in der Ernte“ sagt. „Ernte“ ist,
mit dem anderen Bild vom Hirten, Einsammeln der zerstreuten Herde, Heimholung
aus der Hilflosigkeit und lebensbedrohlichen Entfremdung dorthin, wo das
Leben menschengemäß wirklich gelingt (Mt 9,36-10,4).
„Höre, Israel!“ Das ist der fundamentale Anspruch des jüdischen wie des
christlichen Glaubens. Nur als Hörende gelangen wir zur Gottesliebe.
Hören ist eine ständige kontemplative Praxis des Betrachtens, Nachdenkens
(Meditation kommt von „meditari“ = „nachdenken“) und Erinnerns. Nur so
können wir Gott, die Mitmenschen und uns selbst verstehen. Dieses
verstehende Erkennen weckt die Liebe in uns. Es ist intersubjektiv,
das heißt: Es bringt uns in unmittelbaren, persönlichen Bezug zu Gott,
dem andern und uns selbst. Das ist etwas grundlegend anderes, als Gott,
den andern und uns selbst zum interpretierten Objekt zu machen.
Ursprung der Liebe ist immer das Verstehen. Es gibt kein völliges
Verstehen, sondern immer nur einen achtsamen Weg des verstehenden
Kennenlernens. Was wir verstehen, bleibt uns ganz Geheimnis, auch
wenn wir es schon gut zu kennen meinen (Deut 6,4-9).
Vorschläge zur Vertiefung
- Setzen Sie sich mit der johanneischen Behauptung auseinander, dass wir nicht die
Liebe von unserem Gottesbild her definieren, sondern das Gottesbild von der Liebe her.
Überlegen Sie sich dazu möglichst unvoreingenommen, was genau Sie selbst unter „Liebe“
verstehen wollen.
- Bringen Sie diese Überlegungen in Bezug zu ihren erlernten Glaubensvorstellungen und meditieren
Sie das Ergebnis.
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