Invokavit
Leitmotiv: Anfechtung und Versuchung
Wochenspruch: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre.“ 1. Johannes 3,8



Freitag: Jakobus 1,12-18

Anfechtung und Versuchung sind die beiden Seiten derselben Angelegenheit: Anfechtung ist das, was angreift, um zu zerstören, Versuchung ist das, was lockt, um der Zerstörung Raum zu geben. Anfechtung ist die Herausforderung durch die Situation, Versuchung ist das Angebot, der Bewältigung auszuweichen. Anfechtung ist die tatsächliche Bedrohung, Versuchung ist die Propaganda, auf die Bedrohung destruktiv zu reagieren. Anfechtung ist die äußere Provokation, Versuchung die innere Stimme, die uns dazu verführt, uns provozieren zu lassen. Kain ist angefochten, weil dem Augenschein nach Abel von Gott bevorzugt wird (vgl. Gen 4). Es ist natürlich, dass es ihn anficht, er wäre kein Mensch, wenn es ihn kalt lassen würde. Das Angefochtensein äußert sich emotional. Darin liegt immer die Spitze der Anfechtung. Dort, wo sie uns unmittelbar berührt, erfahren wir sie als Gefühl - je größer die Anfechtung ist, desto stärker ist das Gefühl. Kains „Grimm“ entspricht der Anfechtung. Aber die Sünde lauert noch vor der Tür, sie findet noch keinen Eingang. Ihr Pochen an der Tür des Herzens ist die Versuchung. Versuchung zielt darauf hin, dem Bösen Einlass zu gewähren.

Es ist Jakobus überaus wichtig zu klären, dass Gott zwar die Anfechtung zulässt, aber nicht selbst der Versucher ist, denn in Gott selbst ist absolut nichts Hinterhältiges, Irreführendes und Böses. Jede Anfechtung erhält ihren guten Sinn dadurch, dass wir eine konstruktive Antwort darauf finden, und damit das gelingt, ist es für den Glaubenden unbedingt nötig, an der Vorstellung des vollkommen menschenfreundlichen, barmherzigen und großzügigen Gottes festzuhalten, allen scheinbaren Gegenbeweisen zum Trotz. Dies ist das Leitmotiv des ganzen Jakobusbriefs.

Es ist bemerkenswert, dass Jakobus hier auch nicht den Teufel ins Spiel bringt, sondern dass er die Stimme der Versuchung in uns selbst lokalisiert und sie, ganz im Einklang mit den zeitgenössischen stoischen Weisheitslehrern, als „Begierde“ bezeichnet. Das ist nicht das Begehren schlechthin, sondern das böse Begehren, die Versuchung zum Destruktiven, indem wir zum Beispiel Böses mit Bösem vergelten. Jakobus lässt keinen Zweifel daran, dass wir nicht nur selbst verantwortlich dafür sind, dieser Versuchung zu widerstehen, sondern dass wir auch dazu in der Lage sind. Genauso wenig, wie Gott selbst uns versucht, übernimmt Gott für uns diesen verantwortlichen, vernünftigen Widerstand. Er ist in der spezifischen Würde des Menschseins begründet, nämlich in unserer Freiheit. Nur im Bewusstsein dieser Freiheit ist der Mensch ganz Mensch, ganz bei sich selbst, und nur auf dieser Spur reift er zu wahrer Menschlichkeit.



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