Sexagesimä
Leitmotiv: Was Gottes Wort bewirkt
Wochenspruch: „Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht.“ Hebräer 3,15




Predigt
zum Text
Mittwoch: 2. Korinther 12,1-10

In diesem Text schwingt viel Ironie. Keine Ironie ist für Paulus jedoch, dass die Glaubenserfahrungen, mit denen er wirklich Eindruck bei den sensationshungrigen Korinthern machen könnte, alles andere als schön und erhebend sind. Trotzdem deutet er sie nur an, um sie vor Missbrauch zu schützen. Denn die Erfahrungstheologie der Korinther hätte kein Verständnis dafür, dass in Erfahrungen, die sich kein Mensch wünschen mag, wesentliche mystische Geheimnisse wahren, starken Glaubens enthalten sein sollen. Sie würde diese Erfahrungen missverstehend als Großartigkeiten herauskehren, was ja auch tatsächlich dem Entrückungserlebnis bis heute angedichtet wird. So wie Paulus es beschreibt, handelt es sich aber wahrscheinlich um eine Out-of-Body-Experience, ein Nahtoderlebnis also. Das entspricht ganz den extremen Leidenserfahrungen, die er zuvor aufzählt. Sie haben ihn immer wieder an den Rand des Todes gebracht.

Eine Nahtoderfahrung ist gewiss etwas anderes als das triumphale Bezeugen des wunderbaren beglückenden Eingreifens Gottes. Das zweite Beispiel, das Paulus anscheinend sogar für noch rühmenswerter hält, ist sein vergebliches Gebet um Heilung und die daraus hervorgehende Erkenntnis, dass es besser ist, mit diesem „Pfahl im Fleisch“, vermutlich eine schmerzhafte Krankheit, zu leben, als ihn durch ein Wunder loszuwerden. Die begründende Erkenntnis ist durchaus tröstlich, wenn auch nicht gerade beglückend: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in dem Schwachen mächtig.“ Nimm es also, wie es ist, sei zufrieden in deinen engen Grenzen und murre nicht gegen die massiven Hindernisse und Widerstände, denen du ausgesetzt bist. Gerade so und nicht anders kommt Gottes Reich durch dich zum Ziel.

Gewiss, das ist nicht der ganze Paulus. Paulus ist so wenig ein Kyniker, der sich gegen alle Lebensfreude in Gleichgültigkeit hüllt, wie Gott ein Feind der Lebensfreude ist und sie darum konsequent dem entzieht, der sich ihm anvertraut. Vielmehr bezieht Paulus hier in bewusster Einseitigkeit die Gegenposition zur wundersüchtigen Erfahrungstheologie der Korinther, die das Lustprinzip zum Leitprinzip des Glaubens gemacht haben.

Auch für Paulus ist das Glück ein hohes Ziel. Aber er sieht, dass Gott einen anderen Weg dorthin vorgesehen hat als den korinthischen. Dieser andere Weg schlängelt sich nicht um das wirklich Schwere im Leben herum und baut keine bequemen Brücken über die Abgründe des Leidens. Er gleicht eher einem Klettersteig. Wer ihn annimmt, stellt sich nüchtern den tatsächlichen Problemen.

Der andere, bequeme Weg des Glaubens hat einen hohen Preis. Davon redet der Text gleich zu Beginn. Die Wundersucht ist eine echte Sucht: Sie raubt dem Süchtigen die Freiheit. Er muss immer neu Großartiges erleben, sonst kann er nicht glauben. Das kranke Bedürfnis danach lässt ihn hörig werden gegenüber Menschen, die es ihm versprechen. Die Stars der korinthischen Gemeinde, diese „Diener Christi“, die ihre Mitchristen „knechten, ausnützen, gefangennehmen, erniedrigen“ und ihnen „ins Gesicht schlagen“, sind die Dealer der Wundersucht. „Wenn ihr uns folgt“, verkünden sie, „tut sich euch der Himmel auf.“ Die unbequeme Wahrheit, dass er sich erst auftut, wenn das Sterben zum Ziel kommt, leugnen sie.



E-Mail: info@isa-institut.de       Datum der letzten Änderung: 03.02.2019