Septuagesimä
Leitmotiv: Lohn und Gnade
Wochenspruch: „Wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.“
Daniel 9,18



Inhaltliche Zusammenfassung

Beten ist keine Aktivität, die wir benötigen, damit sich Gott bewegt, sondern das unbedingte Festhalten an der Vertrauenswürdigkeit Gottes, das auf ganz verschiedene Weise Ausdruck finden kann (Wochenspruch Dan 9,18).

Die Barmherzigkeit steht nicht im Gegensatz zur Lohngerechtigkeit, sondern sie gibt ihr die Norm. Gerecht ist Gerechtigkeit nur, wenn sie sich der von der Maxime der Barmherzigkeit bestimmen lässt. Barmherzig ist es, die echten Bedürfnisse des Einzelnen als Maßstab zu setzen (Evangelium Mt 20,1-16). Unsere Hoffnung auf die Herrschaft gerechter Barmherzigkeit und barmherziger Gerechtigkeit erfüllt sich im Glauben an den gerechten und barmherzigen Gott (Jer 9,22f).

Ein Leben unter der Gnade Gottes ist alles andere als ein Leben ohne Anspruch. Gnade ist die Ermöglichung zu sinnvoller Selbstdisziplin. Ihr Zweck besteht darin, dass wir auf eine Weise leben, die uns selbst gut tut. Gnade bedeutet, dass uns die Freiheit dazu geschenkt ist (1Kor 9,24-27).

Die Gnade verpflichtet zur Selbstdisziplin der Freiheit. Gnade und Pflicht, Freiheit und Disziplin: das sind paradoxe Begriffspaare, die aber notwendig zusammengehören. Insbesondere unter entwürdigenden Umständen kann die Selbstverpflichtung zur Freiheit als Selbstverpflichtung dazu, in jedem Fall die Würde zu wahren, extrem herausfordernd werden. Aber es gibt keine Alternative dazu (Lk 17,7-10).

Gerecht und barmherzig zugleich ist es, zwischen der Person an sich und ihrem Verhalten konsequent zu unterscheiden. Ein Mensch, der Übles tut, ist kein Übel-Seiender, sondern ein Übel-Täter. Sein Verhalten mag sehr problematisch sein, aber er selbst als Mensch ist nicht das Problem. Dieser wesentliche Unterschied ist kennzeichnend für die christliche Ethik (Mt 9,9-13).

Zum Problem wird die Unterscheidung zwischen der Person und ihrem Verhalten dort, wo ihr ungerechtes und unbarmherziges Verhalten aus Überzeugung geschieht. Auch dann ist die Person zwar nicht identisch mit ihrem Verhalten, aber ihr Verhalten und ihr Charakter gewinnen ein hohes Maß an Übereinstimmung, weil sie ihr Verhalten als das ihrer Berufung Angemessene versteht. In ihren Augen ist das Böse ihrer Tat das einzig wahre Gute. Dagegen hilft nur mutiger Widerstand (Rö 9,14-24).

Vorschläge zur Vertiefung
  • Rufen Sie sich Erfahrungen in Erinnerung, wo Ihr eigenes Gerechtigkeitsempfinden und Ihr Sinn für Barmherzigkeit in Konflikt zueinander gerieten. Was wäre geschehen, wenn Sie in diesen Situationen konsequent barmherzig gewesen wären?
  • Was bedeutet es für Sie persönlich, in der Gnade und aus der Gnade Gottes zu leben?



E-Mail: info@isa-institut.de       Datum der letzten Änderung: 01.11.2020