Septuagesimä
Leitmotiv: Lohn und Gnade
Wochenspruch: „Wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.“
Daniel 9,18




Predigt
zum Text
Sonntag: Matthäus 20,1-16  Evangelium

Gerechtigkeit erfährt, wer bekommt, was ihm zusteht. Der Arbeiter ist seines Lohnes wert. Lohn, wem Lohn gebührt, Ehre, wem Ehre gebührt. Auf diesem Fundament steht auch das Gleichnis. Es ist eine Ehre, gewollt und gebraucht zu werden. Das zeigt sich nicht nur in der Inanspruchnahme des Dienstes, sondern auch in seiner Würdigung durch angemessenes Entgelt. Sonst wäre es nicht Gebrauch, sondern Missbrauch.

Das menschliche Bedürfnis nach dieser Würdigung ist sehr stark. Die Gerechtigkeit bekommt einen Stich wie sauer werdende Milch, wenn sie die Partnerschaft mit der Barmherzigkeit verweigert. „Erbarmen“ kommt von „Ab-armen“ gleich „Armut wegnehmen“, also „Not beheben“. Not ist das Fehlen dessen, was wir brauchen. Jedes unerfüllte echte Bedürfnis ist Not. Der barmherzige Weingärtner nimmt das echte, starke Bedürfnis derer wahr und ernst, die erst spät dazukommen. Darum sagt Jesus immer wieder, dass die Letzten Erste sein sollen. Der Mensch braucht es, Erster zu sein.

Der Weinberg ist Symbol für das Reich Gottes. Dort gibt es nur Erste. Wegbereiterin des Reiches Gottes ist die Kirche. Ihr Auftrag ist es, das Barmherzigkeitsprinzip „Jeder ist Erster“ anzunähern, ohne die Gerechtigkeit dabei preiszugeben.

Die unbarmherzigen Ersten sollen Letzte sein. Ihr Rechtsbewusstsein ist blind und taub für die Not der Anderen. Sie stört. Diese Ersten haben Angst zu kurz zu kommen, wenn sie die Not der Anderen an sich heranlassen. Das Paradoxe dabei ist, dass es ihnen gut geht: sie sind ja Erste. Nicht nur erhalten sie ihren völlig angemessenen Lohn, sondern sie erfahren auch noch die besondere Würdigung, eben die Ersten zu sein. Im Dienstgefüge des Weinbergs folgt daraus ein größeres Wissen, eine bessere Vertrautheit mit der Arbeit dort. Das prädestiniert sie zum Beispiel für Leitungsaufgaben. In solchen Funktionen sind sie durchaus besonderer Ehre wert. Das Barmherzigkeitsprinzip ist alles andere als Gleichmacherei. Jedem das Seine, aber allen so, dass keiner Not leidet.

Doch diese Ersten blenden die Vorzüge ihres Status aus. Sie repräsentieren das „Jammern auf hohem Niveau“ des Wohlstandsmenschen aller Zeiten. Das Schlimme daran liegt nicht im Jammern, sondern in der Unbarmherzigkeit gegen die Not der Anderen.



E-Mail: info@isa-institut.de       Datum der letzten Änderung: 01.11.2020