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Donnerstag:
Markus 2,18-22
Wieder geht es, wie schon im gestrigen Text, um die Frage der Priorität. Pharisäisch ist
es, die Form dem Inhalt voranzustellen: Gefastet wird aus Prinzip; es gehört sich so. Zu
fragen, warum es sich gehören soll, gehört sich nicht. Wer es dennoch tut, wird
reglementiert, und wer sich weigert zu tun, was keinen nachvollziehbaren Grund hat,
wird bedroht und bestraft. So funktionieren alle autoritären Systeme und die religiösen
erst recht, denn ihr besonders wirksames Machtmittel ist die Drohung mit Höllenstrafen.
Jesus klärt hier so deutlich wie nirgends sonst im Neuen Testament, dass die Form
dem Inhalt zu dienen hat. Das Festhalten am Primat der Form verhindert die Wahrnehmung,
dass sich der Inhalt verändert hat. Die Inhalte des Glaubens können sich offenbar
sogar sehr verändern: Zum Beispiel können aus Tief-Zeiten des Entbehrens, Wartens
und Verzichtens Hoch-Zeiten werden, aber dann mögen auch wieder neue dunkle Täler
folgen. Alles hat seine Zeit und wenn es seine Zeit hat, dann verlangt es auch
nach seiner Form.
Die Aufgabe der Theologie ist es zu erspüren, welche Zeit gekommen ist und was sie
von uns verlangt. Gottes Geist ist so wenig identisch mit dem Zeitgeist wie er
grundsätzlich im Gegensatz dazu steht. Aber er hat immer mit dem Zeitgeist zu
tun: Teilweise prägt er ihn, teilweise widersteht er ihm. An seinen Wirkungen
auf den Zeitgeist ist Gottes Geist zu erkennen. Seine prägende Wirkung zeigt
sich überall dort, wo wir menschlichere Menschen werden. Das Plus an Menschlichkeit
durch Glaube, Hoffnung und Liebe, das ist zu jeder Zeit der neue Wein.
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