1./2. Sonntag nach dem Christfest
Leitmotiv: Aufbruch zur Menschlichkeit
Wochenspruch: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“
Lukas 2,29f



1. Johannes 1,1-4

Das Motiv für den ersten Johannesbrief ist nicht etwa eine erhabene Offenbarung, die sich des Schreibers bemächtigte, so dass ihm kaum etwas anderes übrig blieb, als sich dem Diktat zu fügen. Im Gegenteil: Johannes schreibt den Brief, damit seine Freude und die Freude derer, die ihn auch gern geschrieben sehen wollen, „vollkommen“ sei. Er schreibt ihn also aus tiefem eigenem Bedürfnis heraus. Dieses bedürfnisorientierte Handeln nennt man in der Ethik „Hedonismus“: Ich tue etwas, damit ich etwas davon habe und das, was ich davon habe, macht sich durch ein gutes Gefühl in mir bemerkbar. Dass der Hedonismus eine sehr schlechte Presse hat, kommt daher, dass sowohl seine Kritiker als auch sehr viele seiner Vertreter darunter ein Leben nach dem „Lustprinzip“ verstehen. Das, wozu wir gerade Lust haben, steht aber sehr häufig im Gegensatz zu dem, was unsere echten Bedürfnisse verlangen.

Es könnte also sein, dass Johannes gerade gar keine Lust hatte, diesen Brief zu schreiben, und sich trotzdem dazu überwand, um sein echtes und starkes Bedürfnis nach Gemeinschaft zu erfüllen. Denn die Freude, nach der ihn verlangt, hat ihren Grund in der Erfahrung echter Gemeinschaft. Tiefe und authentische Gemeinschaft zu erleben ist unser stärkstes seelisches Grundbedürfnis.

Johannes möchte die Freude der Gemeinschaft, die ihn bereits beglückt, mit noch vielen anderen Menschen teilen, darum schreibt er diesen Brief. Seine große Freude ist die Gemeinschaft mit Jesus. Er ist völlig davon überzeugt, dass dieser leibhaftige Mensch, den er persönlich und intensiv kennengelernt hatte, der Mensch gewordene Logos Gottes selbst ist, das Ordnungsprinzip allen Lebens in Person, sinnvolle Herkunft und Zukunft des Kosmos, das Leben selbst, die Göttlichkeit in der Menschlichkeit. Es ist ihm drängendes Bedürfnis, das zu bezeugen und zu verkündigen.

Es ist nicht nur eine intellektuelle Erkenntnis, was er verkündet. Es ist eben auch Zeugnis. Aber es ist auch nicht nur Erfahrung. Erkenntnis und Erfahrung schließen sich zusammen. Das erst macht die wahre Freude aus.

Man kann auch sagen: Erfahrung und Bedeutung. Unsere Erfahrungen erhalten ihren Wert erst von der Bedeutung her, die wir ihnen beimessen. Die leibhaftige Erfahrung verlangt nach ihrer Deutung, um die angemessene Be-deutung für uns zu erhalten.

Beides will Johannes durch den Brief vermitteln: Die reale Erfahrung der leibhaftigen Gemeinschaft mit Jesus Christus, die sich in der Gemeinschaft der Christen fortsetzt und ausbreitet, wie auch die theologische Bedeutung dieser Erfahrung. Die Reflexion der Bedeutung wird dann wiederum zum Wegweiser dafür, wo und wie die angemessene Erfahrung zu suchen ist.



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